Ob eine Idee oder ein Konzept als Ausgangslage, das «Entwerfen im Prozess», ein Konstruktionsprinzip, strukturelle Ordnungssysteme oder ein Funktionsschema: Die Architektur fokussiert verstärkt auf einen professionellen Pragmatismus, um auf die wechselnden Witterungen zu reagieren, denen das Bauwesen und die ganze Gesellschaft ausgesetzt sind. Der vermeintliche Ausweg präsentiert sich in Form von rationalisierten, quantifizierbaren Entwurfsstrategien. Diese Ansätze klammern allerdings den gestalterischen Impetus in der Architektur aus, der sich nie rein rational und eindeutig erschliessen lässt.
Unter dem Titel «Komposition» widmet sich <trans19> dem schöpferischen Kern der Disziplin, sowie der Gestaltung als Teil des Entwerfens. Damit wird ein Begriff nach seiner heutigen Bedeutung befragt, der im aktuellen Architekturdiskurs nach wie vor geflissentlich gemieden wird.
Weshalb aber die vermeintlich antiquierte «Komposition» neu diskutieren? Seit der Moderne wurde die Komposition als Teil der kritisierten Beaux-Arts-Lehre mit ihrem modularen Entwurfsreglement negativ konnotiert, um der nötigen Erneuerung und dem Ausbruch aus dem zum Schema erstarrten Historismus Raum zu geben. Seither tut sich die Disziplin allerdings schwer, das damit einhergehende gestalterische Vakuum adäquat zu füllen und sich nach Aussen wieder Legitimation zu verschaffen.
In einer Reihe von Beiträgen, die architekturtheoretisch, historisch sowie aus der Sicht von Architekten in grundsätzlicher Weise dem Begriff nachspüren, wird der Komposition eine neue Rolle in dieser Leerstelle eingeräumt.
Aus dem Lateinischen lässt sich «Komposition» mit «Zusammenstellung» übersetzen. Doch Architektur ist mehr als ein objektiver Akt. «Komposition», als kunstvolle Anordnung umschrieben, geht über die Bedeutung eines didaktischen Hilfsmittels hinaus und betont den Wirkungszusammenhang der einzelnen Elemente - im Sinne eines Arrangements. Die eingangs erwähnten externen Faktoren aus Gesellschaft und Umwelt können dieses spannungsvolle Wechselspiel allein nicht erzeugen.
Dem «grossen Wurf des Entwerfens» stellt Âkos Moravänszky die Komposition zur Seite: «Komponieren als der «künstlerische» Aspekt der Architekturproduktion hat versucht, Einheit nicht als Nahtlosigkeit, sondern als eine Verbindung von heterogenen und widersprüchlichen Elementen herzustellen». Hierin spielt auch die Landschaft eine unterschätzte Rolle, wie Christophe Girot betont: «<lt is now time to reinstate landscape composition and aesthetics at the heart of our dwellings and neighborhoods.»
Im Gespräch zwischen Peter Märkli und dem Kunsthistoriker Andreas Tönnesmann wird der «Komposition» in ihren unterschiedlichen Ausprägungen nachgespürt und unter anderem im Zusammenhang mit einer Ökonomie im baukünstlerischen und materiellen Sinne auf deren Aktualität hingewiesen: «Der Umgang mit den materiellen Ressourcen des Bauens. [...] Die richtige Platzierung des angemessenen Materials. Darin spiegelt sich eine Qualität, die ich «Komposition» nennen würde.». Sich in der Vergangenheit zu bilden und seine Vorstellungen in die Zukunft zu tragen, dienen dabei als gültige Grundlagen, um als Gestalter unabhängig zu bleiben. «Wir können nicht weniger als die Alten, wir können genauso viel.» Die Frage nach der Autorenschaft stellt sich somit unweigerlich, und auch Michiel Riedijk erkennt eine grundlegende Notwendigkeit der Architektur darin, sich zur eigenen Gestaltung zu bekennen: «At the heart of every composition is its author.»
Wie die aufstrebende Generation zur Komposition und dem Gestalten steht, exemplifizieren verschiedene, junge Architektinnen und Architekten an ihrem entwerferischen Schaffen - anhand ausführlicher Werkberichte oder in Form von kreativen Antworten auf unseren Fragebogen zur Komposition (von achzig angeschriebenen Büros beteiligten sich nur sieben, was vielleicht als Indiz für ein generelles Unwohlsein verstanden werden kann, sich zur Gestaltung zu äussern). Frei von dogmatischen Strategien und vordefinierten Wegen oszilliert deren Entwerfen zwischen verschiedenen gestalterischen Haltungen - ohne sich auf eine Lösung zu versteifen. In diesem losen Feld lässt sich erahnen, was Komposition im realen Entwerfen heute bedeuten kann.
Die eine, einzig anerkannte Gestaltung kann es nicht geben. «Komposition» stellt vielmehr eine Art Auslegung verschiedener Gestaltungsstrategien dar. Hannes Mayer kritisiert die vorschnelle Gläubigkeit an einer klassischen Komposition mit ideal-formalem Regelwerk und allgemeingültigem Geltungsanspruch. Stattdessen appelliert seine kunst- und wissenschaftshistorische Erörterung an eine Geisteshaltung, sich nicht dem Umstand zu verschliessen, dass sich die Architektur in einem dynamischen und sich wandelnden Rahmen befindet - vom Menschen bis zum Universum. In den Worten von Ernst Bloch: «dauernd unstatisch und quer durchschlagend.»
In anderen Disziplinen erhält «Komposition» aufschlussreiche, teils überraschende Bedeutungen. Im Sinne eines Angebots an den Interpreten und den Rezipienten arrangieren Zimmermann & de Perrot in ihren Inszenierungen Modifikationen noch im Vorführungszyklus. Die Künstlerin Monika Sosnowska überlässt die Produktion ihrer übergrossen Raumstrukturen Ingenieuren, deren Perspektive auf das Werk - wie im Interview mit dem Produzenten von «1:1», Wiestaw Seniura, spürbar - in die Komposition mit einfliesst und dadurch zum Bestandteil von Sosnowskas Werk wird. Der Mensch wiederum wird laut Hardy Happle bei Tanz und Architektur in Form von Raumkompositionen gleichsam in den Mittelpunkt gerückt. In den Worten von Oskar Schlemmer: «Die Geometrie, der Goldene Schnitt, die Lehre von den Proportionen [...] sind tot und unfruchtbar, wenn sie nicht erlebt, gefühlt und empfunden sind.»
Vom Menschen zum Beruf des Architekten: Die Fremdzwänge der schaffenden Architekten sind gewachsen; so auch die Aufgabe des Architekten zu vermitteln und zu verhandeln. In Kenneth Framptons Troika von Typologie, Tektonik und Topologie wird das architektonische Projekt und dessen Form schnell zur Folge der präexistenten Faktoren, die von der Konstruktion über den Kontext hin zu soziologischen und funktionalen Zusammenhängen reichen. Zwischen diesen Eckpfeilern und ihren Bedeutungszusammenhängen liegt jedoch eine Grauzone, in welcher der Architekt bewusst Entscheidungen treffen muss.
Dies macht die Architektur zu etwas substantiell Persönlichem, in ständiger, meist produktiver Reibung zu Framptons Begriffsdreieck. Gleichsam lässt sich feststellen, dass in verschiedenen Beiträgen jedoch wieder ein Bedürfnis nach «neuen, freiwilligen, vernunftbestimmten Konsensansätzen» anklingt.
Hier vermittelt die Komposition und wirft gleichzeitig neue Fragen auf. Komposition bedingt Bewusstsein für die Kompetenz der Disziplin Architektur, auszuwählen, zu vermitteln, Neues und Altes zu verbinden. Komposition bedeutet auch, für die eigene Gestaltung einzustehen und als Gestalter Verantwortung zu übernehmen.
Contributors
Charlotte Malterre-Barthes, Noboru Kawagishi, Peter Märkli, Andreas Tönnesmann, Michiel Riedijk, Àkos Moravânszky, Claus Reuschenbach, Gabriela Rutz, Michael Hirschbichler, Philipp Schaerer, Christophe van Gerrewey, OFFICE kgdvs, Bas Princen, Martin Zimmermann, Dimitri de Perrot, Christian Mueller Inderbitzin, AFF Architekten, Dan Schürch, Hans Rudolf Reust, Buzzi e Buzzi, Carlos Martinez, futurafrosch, kit, OOS, Leuppi & Schafroth, Michael Hirschbichler, Lukas Raeber, Hannes Mayer, Jörg Niederberger, Selina Frölicher, Micha Bietenhader, Chris Dähne, Hardy Apple, Philip Ursprung, Wieslaw Seniura, Tomasz Fudala, Lucia Degonda, Christophe Girot, Michael Pfister, Georg Vrachliotis, Tobias Erb
Editorial Team
Siham Balutsch, Michel Frei, Steffen Hägele, Philippe Jorisch
Table of content
Analogies of composition
"...Dort sind wir eben wirklich unabhängig." : Ein Gespräch zwischen Peter Märkli und Andreas Tönnesmann
Craft and compostion : notes on architectural authorship
Die Geste des Komponierens
Der erweiterte Blick : Sakralbauten und Ladschaftsbeziehung der griechischen Antike auf Sizilien
Grimassen und Freaks : Komposition als Grenzüberschreitung
"Wir sind eher so DJ's" : Interview mit Martin Zimmermann und Dimitri de Perrot
Bildkonstrukte : Architektur und digitale Bildverfahren
Architecture and everything else
Modell und Bild
"Mit dem Körper denken"
Identität, Typologie, Emergenz
Das architektonische Komponieren der Künste
Copy, paste, invert, forget
Das beschleunigte, expandierende Universum und seine Auswirkungen auf die Architektur
ENDLOS. Ohne Anfang
Lichtgeräusche
Tanz \ Architektur
Die sinfonische Komposition von urbanem Raum
"Von mir aus könnte dieser ganze Kram einfach verschwinden" : Donald Judds Kritik der Komposition
Forseeing the disaster
Architekturfotografie als Komposition?
Consider landscape : compose de-compose re-compose
Ciudad universitaria
Denken in Strukturen
Zeitgeistig anachronistisch