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TRANSSTYLE
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Hundertfünfzig Jahre ist es her, seit Heinrich Hübsch die berühmte Frage nach dem Stil, in dem zu bauen sei, aufgeworfen hat. Auch wenn die Frage heute so unbeschwert nicht mehr gestellt wird - eine Antwort hat sie noch nicht gefunden.

Kaum etwas wurde von der Moderne so vehement bekämpft wie die Stilvielfalt des 19. Jahrhunderts. Der Begriff Stil wurde zum Schimpfwort, stand stellvertretend für alles Unzeitgemässe. Architektur als Ausdruck der eigenen Zeit war gefordert. Die Stilpluralität wurde ersetzt durch eine Folge von Ismen, die sich jeweils nicht als Stil, sondern als endgültige Lösung aller Architekturprobleme sahen, um doch von der jeweils nächsten Generation als Modeströmung entlarvt zu werden. In dem Sinne wurde Architektur weitaus häufiger als ihr lieb war unmittelbarer Ausdruck ihrer Zeit, und es stellte sich die Frage: Was ist Stil, Was ist Mode? Wenn für frühere Zeiten noch galt, dass sich jeder künftige Stil zuerst als Modeströmung bemerkbar machte, verlor diese Regel im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts immer mehr ihre Gültigkeit: den Moden wird die Zeit, Stil zu

werden, nicht mehr gegeben. Heute fallen Stil und Mode zusammen und repräsentieren auch kaum mehr ganze Epochen, sondern häufig nur noch kleine Gruppen oder Einzelpersonen.

So pendelt denn die Architektur zwischen zeitlosen Ansprüchen und dem unerwartet Anderen, zwischen Vorwegnahmen erhoffter Zukunft und Erlebniswert: drei Zeitdimensionen - Zukunft, Ewigkeit und grosses Erlebnis -, die der traditionellen Vorstellung des Eingebundenseins in die Zeit radikal widersprechen. Die Erfindung des Computers, des Internets sowie die Macht der Medien haben die Verbreitung von Bildern und neuen Ideen dermassen beschleunigt, dass sich spätestens heute die Frage nach dem Verfalldatum der Architektur stellt. Strömungen. Tendenzen folgen einander immer schneller, Stars sind schon out, bevor sie richtig kopiert wurden, und alle hoffen, den Anschluss nicht zu verpassen - an was, ist dabei reichlich unklar. Die Folge ist eine grosse Gleichförmigkeit in der Dissonanz: der dekonstruktive Höhenflug im Einfamilienhausquartier fällt ebensowenig aus dem Rahmen wie der Bankpalast nach Vorbildern aus dem vorigen Jahrhundert.

Der Umgang mit diesen Zeitphänomenen ist sehr unterschiedlich: einige Architekten ziehen sich zurück in ein erhabenes Schweigen der Enthaltsamkeit, zitieren Kunst, Geometrie oder schematisieren vergangene Stile, andere gehen auf die Suche nach neuen, rationalen Entwurfsmethoden. Irritierend ist, wie wenige die Souveränität besitzen, sich den Moden und Zeitströmungen zu stellen und diese bewusst als Teil jenes Materials zu akzeptieren, das uns heute im architektonischen Entwurf zur Verfügung steht.

Published in February 1999

Contributors

Philipp Wälchli, Verena M. Schindler, Judit Solt, Jürgen Mayer Hermann, Sönke Magnus Müller, Miroslav Sik, Peter Moor, Leandro Madrazo, Marc Angélil, Anna Klingmann Ulrich Maximilian Schumann Ben van Berkel, Vittorio Magnago Lampugnani, Sonja Fröhlich, Anna Klingmann, Patrick Devanthéry, Inès Lamunière, Léon Krier, Graft 16: Christoph Körner, Lars Krückeberg, Wolfram Putz, Wilfried Hackenbroich, Anna Klingmann, Franz Aeschbach,Cary L. Siress, Christian Meili, Cary L. Siress, Helmut Spieker, Wilfried Wang


Editorial Team

Patrick Chladek, Maximilian Donaubauer, Bernadette Fülscher, Claudia Jucker, Matthias Pätzold, Stephan Renner, Florian Schätz, Stephan Schoeller, Judit Solt, Martin Teichmann, Robert Volhard, Philipp Wälchli

Table of content

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